Alfred Tomatis war ein HNO-Arzt, der sein Leben lang die enge Verbindung von Stimme, Gehirn und Ohr erforschte. Seine Arbeit war bahnbrechend für die Erkenntnisse darüber, wie der Mensch mit anderen und mit sich selbst kommuniziert. Als Pionier auf dem Gebiet der Kognitionswissenschaft hinterließ Alfred Tomatis durch seine Entdeckungen und seine außergewöhnliche Persönlichkeit unauslöschliche Spuren. Erst heute können wir sein Vermächtnis in vollem Umfang würdigen - im Licht der neuesten Forschungen zur Plastizität des Gehirns. Der berühmte Psychiater Norman Doidge zollte ihm große Anerkennung in seinem neuesten Buch “Wie das Gehirn heilt: Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft“ (Originaltitel: The Brain’s Way of Healing), das 2015 erschienen ist.
Alfred Tomatis (1920-2001) war ein französischer HNO-Arzt, Wissenschaftler und Begründer der nach ihm benannten Methode. Sein Werk hatte eine bahnbrechende Wirkung auf das Verständnis der Funktionen des Ohrs und gilt als wahrer Meilenstein bei der Behandlung von motorischen, emotionalen und kognitiven Störungen.
Alfred Tomatis wurde in Nizza geboren und wuchs in einer Familie von Sängern auf. Sein Großvater und sein Vater, Humbert Dante Tomatis, hatten beide glänzende Karrieren als Sänger an der Oper gemacht und standen zusammen mit den größten Sängern ihrer Zeit auf der Bühne. Im Alter von 11 Jahren wurde Alfred von seinem Vater nach Paris geschickt, wo er sich von einem rebellischen Kind zu einem wissbegierigen Schüler entwickelte. Früh schon fühlte er sich berufen, Arzt zu werden, und nach der medizinischen Ausbildung spezialisierte er sich auf die Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Durch seinen familiären Hintergrund ergab es sich, dass die meisten seiner Patienten Sänger und Freunde seines Vaters waren. So lernte er schnell eine Menge über die Stimme.
Alfred Tomatis arbeitete als Arzt an der Bichat-Klinik in Paris und siedelte dann in die Stadt Bretonneau um. Die Bombardierung von Paris 1943 hatte ihn mit dem Schrecken des Krieges konfrontiert. Nach dem Krieg leitete Alfred die akustischen Labore der Luftfahrtindustrie und wurde beauftragt, das Hörvermögen der Angestellten zu untersuchen, die täglich dem Flugzeuglärm ausgesetzt waren und oft unter berufsbedingten Hörverlusten litten.
Er bemerkte, dass die Veränderungen ihres Hörvermögens fast immer mit Defiziten in der gesprochenen Sprache einhergingen. Schnell fand er Parallelen zwischen den audiometrischen Profilen der Arbeiter und denen von Sängern, deren Stimme eine Lautstärke erreichen konnte, die in etwa der Dezibelzahl eines Düsentriebwerks entsprach. Genau wie bei den Fabrikarbeitern in der Flugzeughalle, waren die Stimmen der Sänger beeinträchtigt, nachdem sie jedoch zuvor ihr Hörvermögen selbst geschädigt hatten. Alfred Tomatis zeigte am Beispiel seiner Patienten das Phänomen der audio-vokalen Schleife und betonte, dass “die Stimme nur enthält, was das Ohr hören kann”.
Alfred Tomatis bemerkte einen grundlegenden Unterschied zwischen Hören und Zuhören: Hören bezieht sich auf die passive Rezeption von Lauten. Beim Zuhören dagegen geht es um die Erfassung des Sinns einer sensorischen Information. Er erfand ein Gerät, das die Fähigkeit des Zuhörens wiederherstellen kann – das Kernstück dieser Maschine ist ein besonderes Klangsystem, die “Elektronische Klangwippe”. Das „Elektronische Ohr“ war geboren.
1957 reichte er seine Erkenntnisse bei der Akademie der Wissenschaften in Paris ein. In diesen “Tomatis-Gesetzen” legte er folgende Grundsätze nieder:
1958 wurde auf der Weltausstellung in Brüssel das erste Elektronische Ohr vorgestellt. Alfred Tomatis erhielt dafür die Goldmedaille für wissenschaftliche Forschung.
Alfred Tomatis war Vater von fünf Kindern. Sein Sohn Christian studierte Psychologie und arbeitete mehrere Jahre an der Seite seines Vaters und hatte auch an dessen wissenschaftlicher Arbeit Anteil.
Über viele Jahre setzte Alfred Tomatis seine Forschungen fort und arbeitete mit mehreren Universitäten in Südafrika und Kanada zusammen. Er fand heraus, dass das Ohr auch für die Körperhaltung, das Gleichgewicht und den Muskeltonus eine wichtige Rolle spielt. Er entwickelte die Hypothese über die auditive Lateralität und die Existenz eines dominanten Ohrs. Außerdem war er einer der ersten Spezialisten, die erkannten und darauf hinwiesen, dass der Fötus ab der achtzehnten Schwangerschaftswoche hört und dass das Ohr für die kognitive Entwicklung von großer Bedeutung ist. Schließlich konnte er nachweisen, dass intrauterines Hören die emotionale Entwicklung des Menschen stark beeinflusst. Die Wechselwirkungen, die er zwischen der Psychologie und der HNO-Heilkunde entdeckte, führten ihn zu einer neuen wissenschaftlichen Disziplin - der Audio-Psycho-Phonologie.
Seine gesamte Forschung und seine erfolgreichen klinischen Versuche führten Alfred Tomatis dazu, die Anwendungsgebiete seiner Methode zu erweitern: Aufmerksamkeit, Lernen, Stimme und Sprache, emotionale Kontrolle, Koordination und Motorik sowie Störungen aus dem autistischen Spektrum. Alfred arbeitete mit autistischen Kindern und hatte Erfolg, wo die medizinischen Therapien der damaligen Zeit versagten. Seine Methode half Menschen mit größeren Beeinträchtigungen und konnte ihre Lebensqualität und die ihrer Angehörigen wesentlich verbessern. Um diese Erfolge zu erzielen, musste Alfred Tomatis über sein Fachgebiet hinausgehen und mit vielen hervorragenden Fachleuten zusammenarbeiten. Eine Zeitlang war er so in engstem Kontakt mit der französischen Kinderärztin und Psychoanalytikerin Françoise Dolto. Sein Zentrum in der Avenue de Courcelles in Paris organisierte er mit der Präzision eines Dirigenten. Nur so bewältigte er die ständig wachsende internationale Klientel.
Viele berühmte Persönlichkeiten konsultierten Alfred Tomatis, unter ihnen Maria Callas, die auf der Höhe ihrer Karriere zweimal kam, um "ihre Stimme wieder zu richten". Sie war in ihrem Inneren tief davon überzeugt, dass ihre Stimme eine enge Verbindung zum Ohr hatte und stimmte darin völlig mit Alfred Tomatis überein. Im Jahr 1965 schickte der Schauspiellehrer Jean-Louis Cochet, ebenfalls ein Freund von Alfred, einen seiner Schüler zu ihm. Es war der junge Gérard Depardieu, der mit ausgeprägten Sprachschwierigkeiten schwer zu kämpfen hatte. Er hat später in einem bewegenden Bericht über seine Anfänge und seine Erfahrung mit der Tomatis® Methode erzählt.
Alfred Tomatis schrieb 14 Bücher, einige davon sind auch in deutscher Sprache erschienen: Das Ohr – die Pforte zum Schulerfolg (1988), Klangwelt Mutterleib (1989). Alle diese Bücher zeugen von dem Wunsch, seinen methodischen Ansatz allgemein verständlich zu machen und sich direkt an ein großes Publikum zu wenden. Er wurde jedoch scharf kritisiert von einigen Fachkollegen, die seinen methodischen Ansatz nicht anerkannten.
Während seiner Laufbahn war Alfred Tomatis sowohl umstritten als auch bewundert. Er war umstritten zu einer Zeit, als die Hirnforschung noch in den Kinderschuhen steckte. Bewundert wurde er, weil er seinen Visionen folgte und seine Ideen verteidigte. Immer war er fest entschlossen, Lösungen zu finden, ungeachtet aller Kritiker. Leben zu verbessern – das war alles, was für ihn zählte. Schließlich trat er 1974 aus der französischen Ärztekammer aus, bevor man ihn ausschließen konnte. Die ständige Kritik von Fachkollegen an seinen Visionen hatte ihn müde gemacht und zweifellos war er auch provoziert worden.
Im Ausland wurde die Tomatis® Methode sehr positiv aufgenommen. Weltweit war Alfred Tomatis mit seiner Frau Lena unterwegs, um seine Methode zu präsentieren. Tomatis-Zentren wurden in ganz Europa, Kanada, den USA, Südafrika und Japan eröffnet. Alfred Tomatis stellte sicher, dass die Integrität seiner Methode überall gewahrt blieb und als geistiges Eigentum geschützt wurde.
Alfred Tomatis bat einen befreundeten Maler und Bildhauer, Edgard Pillet, das Symbol für das Tomatis Zentrum zu gestalten - es wurde später das offizielle Logo der Tomatis®-Methode und ist in mehr als siebzig Ländern geschützt. Das Design zeigt großzügige Schwünge und spitze Winkel - der Künstler strebte nach Balance zwischen den Charakteristika des Körperteils, das so schmucklos und gleichzeitig so bedeutsam ist wie ein Pavillon... Zunächst wurde das Logo in einen rauhen Stein geritzt, so konnten die Konturen dieses Organs, das das Wunder des Hörens in sich birgt, am besten festgehalten werden. Alfred Tomatis sah in der Form und Gestalt das Ohr des Ungeborenen. Und das zeigt das große Neue in diesem Symbol - denn wir wissen ja, wie wichtig das Ohr bei der Entwicklung des Babys ist, wenn es noch im Leib der Mutter ruht.
Alfred Tomatis starb im Dezember 2001. Vor seinem Tod schützte er sein enormes geistiges und wissenschaftliches Erbe, indem er seinen Sohn Christian Tomatis und Thierry Gaujarengues mit der Verantwortung für seine Organisation betraute. Christian Tomatis und Thierry Gaujarengues haben in der Folge die Methode immer zugänglicher, innovativer und effektiver gemacht.
Die Entdeckungen von Alfred Tomatis über das Ohr und den Einsatz von Klangstimulation haben eine unauslöschliche Spur auf dem Gebiet der neurosensorischen Stimulation hinterlassen. Schon zu Beginn seiner Arbeit hat Alfred Tomatis andere inspiriert, und im Lauf der Zeit haben verschiedene Firmen versucht, alternative Programme zu entwickeln. Obwohl gelegentlich behauptet, ist es in Wirklichkeit nie gelungen, den Tomatis® Effekt zu reproduzieren.
Durch seine passionierte Forschung über die Beziehung zwischen Ohr und Gehirn und durch seine Annahme, dass das Gehirn optimierbar sei, leistete er Pionierarbeit für die Forschung über die Plastizität des Gehirns auf einem Gebiet, das wir heute „Neurowissenschaften“ nennen. Die Fortschritte, die hier in den letzten Jahren erzielt wurden, sind eine posthume Anerkennung seiner Intuition. Heute gilt es als gesichert, dass Zuhören und emotionale Führungskapazität zusammenhängen, dass das Ohr eine Energiequelle für das Gehirn ist, dass es auf motorische Fähigkeiten und die Körperhaltung wirkt und dass die Tomatis® Methode bei der Behandlung von Störungen, die mit Verhalten, Emotionen, Sprache und Stimme zusammenhängen, eine wirksame zusätzliche Hilfe darstellt.
Man kann die Entschlossenheit von Alfred Tomatis, seinen Visionen zu folgen, nur begrüßen. In seinem Buch "Wie das Gehirn heilt: Neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft“ (Original: The Brain's Way of Healing, 2016) würdigt der bekannte Neurologe Norman Doidge die Arbeit von Alfred Tomatis, den er als Pionier betrachtet und dessen Vermächtnis erst im Licht der gegenwärtigen Entdeckungen voll erfasst werden kann.
Heute wird seine Methode als einzigartiges und wirkungsvolles Instrument in Schulen und Kliniken, von Therapeuten und Pädagogen angewendet und hilft zahllosen Klienten.
Die Firma wird heute von Thierry Gaujarengues geleitet, unterstützt seit 2009 vom Enkel des Gründers, Grégoire Tomatis. Alfred Tomatis wäre stolz auf den Fortschritt der Methode in den letzten Jahren: auf die technologische Innovation der Geräte, die weltweite Expansion, die wachsende Zahl ausgebildeter Fachleute und wohl am allermeisten auf die Vielzahl der Menschen, denen seine Methode tagtäglich hilft.
Jedes Jahr profitieren mehr als 200 000 Menschen auf fünf Kontinenten von der Tomatis® Methode!